KEIN TAG MIT EHRE

16.01.24 in Berlin, SO36

Podiumsveranstaltung zu den antifaschistischen Gegenprotesten zum „Tag der Ehre“ in Budapest

Jedes Jahr um den 11. Februar mobilisieren Nazis europaweit nach Budapest, um den „Tag der Ehre“ zu zelebrieren. Ein faschistisches Gedenken an den misslungenen Ausbruchs versuch von NS-Soldaten 1945 aus dem Kessel der Roten Armee.

Im Rahmen der alljährlichen Gegenproteste von Antifaschist*innen kam es nach Angriffen auf Neonazis 2023 zum ersten Mal zu Festnahmen der Polizei vor Ort. Wenige Tage später folgten Hausdurchsuchungen in Berlin, Leipzig und Jena. Seit fast einem Jahr sitzen zwei Genoss*innen in Budapest in Untersuchungshaft; mindestens zehn Personen sind unter getaucht und es sind insgesamt 14 europäische Haftbefehle gegen Antifaschist*innen aus vier verschiedenen Ländern bekannt. Am 31. Oktober 2023 wurde gegen die beiden Personen in U-Haft und einer weiteren Person aus Berlin Anklage wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und lebensgefährlicher Körperverletzung – bzw. die Teilnahme daran – erhoben.

Wenige Wochen vor Prozessbeginn und des erneuten NS-verherrlichenden Gedenkens in Budapest, wollen wir einen Blick auf die europaweite Repression gegen Antifaschist*innen seit Februar 2023 und auf den langjährigen antifaschistischen Widerstand gegen das NS Gedenken werfen. Gemeinsam mit Genoss*innen aus Ungarn, Rechtsanwältin Undine Weyers, Matthias Monroy und Genoss*innen der Soligruppe wollen wir darüber reden, was jedes Jahr in Budapest am „Tag der Ehre“ eigentlich passiert, wie Behörden europaweit kooperieren und wie sich die Anwendung des § 129 StGB auf linke Bewegungen entwickelt hat. Wir wollen aufzeigen, warum es weiterhin internationale Solidarität und Antifaschismus braucht. Kein Tag mit Ehre!

Eine Veranstaltung von: Kampagne NS Verherrlichung stoppen!, Rote Hilfe e.V. und der Soligruppe


Love and Rage: Solidarität mit allen Betroffenen der neuesten Hausdurchsuchungen!

Am Donnerstag, den 23. November, kam es zu drei Hausdurchsuchungen in Leipzig. Ein Mal mehr kamen die Bullen nicht in den frühen Morgenstunden, sondern mitten am Tag. Thematisch geht es unter anderem um TagX, was zeigt, dass auch in diesem Kontext mit Hausdurchsuchungen zu rechnen ist – eine Information, die sehr viele Menschen zum Aufräumen und Verschlüsseln bewegen sollte! Solltet ihr Fragen haben, gibt es Flyer und Plakate der Roten Hilfe zu Hausdurchsuchungen im linxxnet. Auch hier [https://ea-dresden.site36.net/material/und-da-kam-die-polizei/hausdurchsuchungen/] könnt ihr etwas darüber lesen, wie eine Hausdurchsuchung abläuft. Viele Menschen können bestätigen, dass es hilft, sich schon vorzeitig mit dem Problem zu beschäftigen und gewappnet zu sein. Solltet ihr Hilfe bei der Verschlüsselung benötigen, hört euch um – es ist nicht schwierig und bestimmt gibt es in eurem Umfeld schon Menschen, die euch helfen können! Es gibt auch die Cryptoparty im Proxystore [https://proxysto.re/de/cryptoparty.html], wo euch geholfen wird, diese wichtige Technik selbst zu erlernen!
Wie wir bereits schrieben [https://antirepression.noblogs.org/post/2023/08/07/weitere-infos-fuer-betroffene-rund-um-das-tag-x-wochenende/], kann es sinnvoll sein, schon im Ermittlungsverfahren die Dienste von Rechtsanwält*innen in Anspruch zu nehmen – damit das allen Betroffenen von Tag X offensteht, gibt es eine Vernetzung von sich als solidarisch bezeichnenden Anwält*innen aus der gesamten BRD. Solltet ihr Kontakt zu Anwält*innen haben wollen, meldet euch gerne bei uns!
Wichtig ist, dass wir zusammenstehen. Solidarisiert euch mit Betroffenen, unabhängig von persönlichen Kontakten oder den Mitteln der Wahl. Diese Angriffe werden nicht aufhören, und niemand sollte allein dastehen. Vereinzelt und vor Angst gelähmt sind wir da, wo sie uns haben wollen. Und wir so: Nö!

Rote Hilfe Leipzig,
November 2023

Prozess rund um die 1. Mai-Demo in Berlin vor Gericht / May Day Trial in Berlin court

Folgende Bitte um Veröffentlichung rund um den 1. Mai 2023 erreichte den EA:

DER 1. MAI IST NICHT VORBEI!

(!) Aufruf Bilder und Videos an den EA einzureichen siehe unten (!)

Der Kampf für unsere Zukunft endet nicht mit dem Tag der Demonstration. Wenn wir gemeinsam protestieren, müssen wir auch gemeinsam die Repression derer halten, die mit uns demonstrieren. Bei der 1. Mai-Demo 2023 wurden Menschen geschlagen und durch Polizeigewalt traumatisiert. Während die meisten Menschen ohne Verhaftung davonkamen, sind “vereinzelte” Festnahmen bei Demos die Regel.

Die Festnahmen werden von der Polizei als Abschreckung für zukünftige Demonstrationen genutzt und betreffen uns alle. Da es sich jedoch um isolierte Vorfälle handelt, werden die Verhafteten oft nicht unterstützt. Das sollten wir nicht akzeptieren. Der Großteil der Repression betrifft PoC, Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft oder andere Menschen, die von intersektioneller Diskriminierung betroffen sind und auch diejenigen, die einfach nur Pech hatten. Es liegt in der Verantwortung von uns allen, die Last der Repression gemeinsam zu tragen. Jeder Tagessatz ist einer zu viel. Jeder Moment, in dem wir zulassen, dass sich unsere comrades allein fühlen, ist ungerechtfertigt.

Gerichtsverfahren können auch als wirksamer Teil einer Kampagne genutzt werden. Es ist wichtig, daran zu denken, dass das Gericht der Ort unseres Kampfes ist, genauso wie die Straße. Das ganze System will uns unsere Handlungsfähigkeit nehmen, aber wir können sie uns zurückholen! Wir holen uns unseren Raum zurück, indem wir bei den Prozessen der Verhafteten dabei sind und uns sowohl innerhalb als auch außerhalb des Gerichts solidarisch zeigen. Wir können die Betroffenen emotional unterstützen und ihnen beistehen, damit wir wissen, dass wir nicht allein sind, wenn wir an der Reihe sind. Lasst uns gemeinsam kämpfen und die Konsequenzen gemeinsam tragen.

Wir wollen offensive Konfliktverteidigung zeigen und euch einladen, wieder auf dem Schirm zu haben, dass es unterschiedliche Wege gibt, mit Repressionen und Prozessen umzugehen. Immer wieder entscheiden wir uns unsere Gerichtsprozesse allein anzugehen, weil wir nicht wissen, wie wir wo Support bekommen könnten und wie der aussehen könnte. Wir können uns selbst oder von Anwält_innen oder aber von einer Wahlverteidigung nach § 138 Absatz 2 StPO verteidigen lassen. Das können Menschen sein, denen ihr vertraut und die eure politischen Ansichten teilen. So könnt ihr Themen setzen, die Rechtsanwält_innen mit ihrem Fokus auf Strafmilderung nicht immer im Fokus haben. Strafmilderung ist nur eines von vielen Zielen bei Verhandlungen. Ihr könnt auch die Zeug_innen-Befragung nutzen, um Informationen zu erhalten oder politische Erklärungen verlesen.

Wir müssen weiterhin für unsere Zukunft kämpfen, für diejenigen, die unterdrückt werden und die im Knast sitzen.

Niemand ist frei, solange wir nicht alle frei sind. Vergesst nicht, den Menschen im Gefängnis zu schreiben! Briefe sind oft das Einzige, was einen Tag im Gefängnis ein bisschen schöner macht. Solidarität für alle.

Wenn ihr noch Bilder/Videos von der Revolutionären 1. Mai Demo 2023 um und insbesondere unter dem Kottbusser Tor (20.15 – 21.00 Uhr) habt, schickt sie gern an den EA mit Verschlüsselung (ea-berlin[ät]riseup.net). Den Schlüssel findet ihr auf https://www.ea-berlin.net/kontakt. Ihr könnt aber auch Dateien persönlich beim EA vorbeibringen.

P.S. Wenn du auch von Repressionen im Rahmen des 1. Mai 2023 betroffen bist, melde dich gerne beim Ermittlungsausschuss Berlin.

— ENGLISH —

MAY DAY IS NOT OVER!

(!) Call for pictures and videos to be submitted to the EA see below (!)

Fighting for our future does not begin or end on the day of Demonstration. When we commit to protest together we must also commit to supporting everyone who faces repression for demonstrating. At the Berlin May Day Demo 2023, people were beaten and exposed to trauma caused by police violence. While most people got away without being arrested, “isolated” arrests at demos are the norm.

These arrested are used by the Police as a deterrent against people considering future demonstrations and as such affect all of us. Yet, due to the isolation of these incidents, those arrested are often left unsupported. Let’s not accept that. The majority of repression affects PoC, people without German citizenship, or other people who are affected by intersectional discrimination and also those who were simply unlucky. It is the responsibility of all of us to bear the burden of repression together. Every sentence is one too much. Every moment that we allow our comrades to feel alone is unjustified.

Trials can also be used as an effective part of a campaign. It is important to remember that the court is the site of our struggle, just as much as the streets. The whole system wants to take away our agency, but we can take it back! We can reclaim our space by attending the trials of those arrested, standing in solidarity both inside and outside of the court. Being there to emotionally support and care for those singled out so that we know we will also not be alone when it is our turn. Let’s fight together and bear the consequences together.

We want to show “offensive conflict defense” and invite you to keep in mind that there are different ways to deal with repression and lawsuits. Time and again, we decide to tackle our court cases alone because we don’t know where we can get support and what it might look like. We can defend ourselves or be defended by lawyers or by a defense of choice according to § 138 paragraph 2 StPO. These can be people you trust and who share your political views. In this way, you can address issues that lawyers, with their focus on mitigating sentences, do not always focus on. Mitigation is only one of many goals in trials. You can also use witness interviews to obtain information or read out political statements.

We must continue to ACT for our future, for those currently facing repression in the struggle, for those imprisoned in the fight.

No one is free, until we are all free. Don’t forget to write to the people in prison! Letters are often the only thing that makes a day in prison a bit nicer. Solidarity for all.

If you still have pictures/videos of the Revolutionary May 1st Demo 2023 around and especially under the Kottbusser Tor (20.15 – 21.00), please send them to the EA with encryption (ea-berlin[ät]riseup.net). You can find the key at https://www.ea-berlin.net/kontakt. You can also bring files to the EA in person.

P.S. If you are also affected by repression in the context of May Day 2023, feel free to contact the Ermittlungsauschuss Berlin.

Dokumentation Anquatschversuch

Genossin vor der Haustür vom Verfassungsschutz im Mai 2023 angequatscht. Mindestens der dritte  Anquatschversuch im Zusammenhang des Antifa Ost Verfahren in 12 Monaten in Berlin. 

Nach dem Antifa-Ost-Urteil geht die Repression weiter. Exakt eine Woche nach der Urteilsverkündung in Dresden wurde eine Genossin in Berlin von einer Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes angequatscht. Die Taktik der „Staatsschützer“ ist nicht neu – im Zuge der Ereignisse der vorigen Woche aber dennoch interessant: Eine Frau passte die Genossin auf dem Heimweg vor ihrer Haustür ab. Sie habe versucht, bei ihr zu klingeln und freue sich, sie jetzt doch noch angetroffen zu haben. 

Die engen Vorstellungen von geschlechtlicher Rollenzuschreibungen werden in der Form des Anquatschversuchs offensichtlich: Die freundlich und fast mütterlich wirkende Frau stellt sich direkt als Frau Bartow vom Verfassungsschutz vor – sie sei aufgrund eines Outings der Genossin bei einer rechten Plattform auf sie aufmerksam geworden. Sie fragte, ob der Genossin die Veröffentlichung über sie bekannt sei und bat ihr einen Ausdruck des Blogposts an. Nachdem die Genossin das Angebot ablehnte, wurde sie von der sich fürsorglich gebenden VS-Mitarbeiterin gefragt, ob sie sich denn keine Sorgen bezüglich der Veröffentlichung machte. Frau Bartow betonte, dass die Genossin der Behörde noch nie zuvor aufgefallen sei und sie ihr gerne eine Beratung anbieten würden. Nachdem die Genossin mit „danke, ich bin gut beraten“ antwortete, stellte die VS-Mitarbeiterin heraus, wie wohl gesonnen die Behörde der Person wäre.  Das sei natürlich ganz unverbindlich und die Behörde wäre „auf ihrer Seite“. 

Die Genossin reagierte ablehnend. Sie beendete das Gespräch, indem sie sich von der Mitarbeiterin abwandt, worauf Frau Bartow mit „Okay, ich merke, Sie möchten nicht mit uns reden, das respektieren wir natürlich“ reagierte. 

„Frau Bartow“ ist eine schlanke Frau in ihren 50ern, hatte zu dem Zeitpunkt Schulterlanges braunes Haar, trug eine blaue Jeans und eine weiß blaue Sommerbluse. Sie hatte keinen erkennbare Dialekt.

Solche Anquatschversuche sind keine Seltenheit, können aufgrund der zeitlichen Abfolge der Ereignisse (31. Mai Urteilsverkündung Antifa-Ost, 3. Juni Tag X Leipzig, 7. Juni Anquatschversuch) aber definitiv als repressives Vorgehen des Staats verstanden werden. Die Verfolgung und Kriminalisierung von Antifaschismus endet nicht mit dem Urteil für Lina und die anderen Genossen, auch nicht mit der brutalen Gewalt am Tag X in Leipzig – linke Strukturen sind offensichtlich aktuell so stark von repressivem Staatsvorgehen betroffen, wie seit Jahren nicht mehr. 

Aufgrund der Vorkommnisse ist stark davon auszugehen, dass dies nicht der einzige und auch nicht der letzte Versuch seitens des Staats war, linke Personen zum Verrat zu animieren. In den letzten 12 Monaten ist das schon der dritte VS-Anquatschversuch in den letzten 12 Monaten in Berlin, der in einem Zusammengang zu den Ermittlungen um die vermeintliche kriminelle Vereinigung Antifa-Ost steht. 

Wenn Ihr selbst von einem Anquatschversuch erwischt werdet, versucht ruhig zu bleiben und lehnt jedes Gespräch ab. Macht es öffentlich, meldet es der örtlichen Roten Hilfe und dem Ermittlungsausschuss und besprecht Eure Erlebnisse und möglichen Unsicherheiten in Euren Zusammenhängen.

Gemeint sind wir Alle! Interview zum Antifa Ost Verfahren

Gemeint sind wir Alle!
Mitte Februar haben wir, der EA Berlin, einen Podcast mit drei Berliner Verteidiger*innen des AntifaOst-Verfahrens aufgenommen. Folgende Fragestellung waren Gegenstand des Gesprächs:

  • Was ist der § 129?
  • Wie wurde der 129er in linken Kontexten bisher angewendet?
  • Warum ist das Verfahren so groß?
  • Wer hat die Ermittlungen geführt und Was ist dabei interessant – wie wurde da gearbeitet?
  • Welche Konsequenzen sind (im schlimmsten Fall) vom Ausgang des Prozesses zu erwarten?

Die Urteile wurden inzwischen gesprochen und die Revisionen beantragt, für den Aktualität des Interviews spielt das keine Rolle.

https://archive.org/details/antifa-ost-interview-ea-berlin

Tipps rund um den 1.Mai und für jeden Tag

„Anna und Arthur halten Maul!“

Hallo Freund*innen, Gefährt*innen, Genoss*innen,

grundsätzlich und aus aktuellen Anlässen kann es zu Repression in Form von Überwachungen/
Hausdurchsuchungen/Vorladungen etc. pp kommen.
Achtet auf verschlüsselte Kommunikation, redet nicht in Kneipen über eure Aktionen,
achtet darauf wer euch zuhören kann. Die Repressionsbehörden versuchen so viele Infos
wie möglich, unter anderem durch Abhörtechniken, abzugreifen.
Am besten ist immer noch „Anna und Arthur halten’s Maul!
Wenn ihr Fragen habt oder euch besprechen wollt, kommt bei eurem
örtlichen EA (https://www.nadir.org/nadir/initiativ/ermittlungsausschuss/) oder
der Roten Hilfe Ortsgruppe (https://www.rote-hilfe.de/) vorbei.
Und als guter Tipp zum Schluss, räumt eure Wohnung auf, lasst keine Sachen liegen,
die euch und andere belasten könnten.

Mit solidarischen Güßen
eure EAs

Katzenposter vom Ermittlungsausschuss

Die gibt es auch gedruckt in A2 unter anderem beim EA Berlin. Wenn ihr wollt, kommt bei unserer Sprechstunde vorbei und holt sie euch ab. Sprechstunde ist jeden Dienstag von 20 Uhr bis 21 Uhr im Mehringhof, Gneisenaustraße 2a, Berlin Kreuzberg.

Oder auch beim lokal EA. Zu finden auf: https://www.nadir.org/nadir/initiativ/ermittlungsausschuss/

Sprechstunde der Lautigruppe

Liebe Gruppen und Einzelpersonen!

Nach 2,5 Jahren möchten wir Euch gerne wieder persönlich treffen für Anfragen und Absprachen. Wir wollen keine online buchbare Dienstleistung sein oder werden.

Also machen wir ab Freitag, den 03.06.2022 wieder unsere Sprechstunde!

Wo?
Loge in der K9 (Kinzigstraße 9, Nähe U-Bhf Samariterstrasse)

Wann?
Jeden Freitag von 19-20 Uhr

Solidarische Grüße
die Lautigruppe

Say my name, say my name..

Ein Diskussionsbeitrag zur ID-Verweigerung des EA Berlin

In letzter Zeit ist viel über Identitätsverweigerung (ID-Verweigerung) diskutiert worden. Bei der ID-Verweigerung geben Aktivist*innen im Rahmen von Aktionen ihre Personalien gegenüber Bullen und Gerichten nicht an. Das bedeutet konkret, dass keine Angaben zu den Daten gemacht werden, die auf Pass, Personalausweis oder Aufenthaltserlaubnis stehen. Bisher wurde die ID-Verweigerung in der BRD vor allem bei Massenaktionen in großen, ländlicheren Flächen wie Kohlerevieren angewendet. In Berlin ist der Erfahrungsschatz bisher klein. Im Rahmen der Tu-Mal-Wat-Tage (26. – 29. September 2019) gab es einen ersten Versuch, die ID-Verweigerung als Konzept der Antirepression mit vielen Personen in der Stadt auszuprobieren. Wir als EA Berlin haben die Aktionen begleitet und uns in dem Zusammenhang über die ID-Verweigerung als Strategie Gedanken gemacht.

Der Repression entwischen

Wir finden es gut, wenn Leute politische Aktionen machen und den Bullen, den Strafverfolgungsbehörden, der Repression entwischen – ob sie dafür wegrennen, Leute befreien, Bullen vertreiben oder die Herausgabe ihrer Identität erfolgreich verweigern.

Wir halten ID-Verweigerung aber nicht für die allgemein gültige Strategie, um Repression aus dem Weg zu gehen und finden es gefährlich, wenn der Eindruck entsteht, dass durch ID-Verweigerung Repression generell vermieden werden kann.

Bei jeder Aktion lohnt es sich, nicht sofort die Identität anzugeben und natürlich nicht mit den Repressionsorganen zu kooperieren. Wenn bei einer Aktion viele Menschen die Herausgabe ihrer Identität verweigern, kann das dazu führen, dass die Bullen überfordert sind: Ihre Kapazitäten reichen möglicherweise nicht aus, alle Personen vor Ort erkennungsdientlich (ED) zu behandeln oder sie dafür in die Gefangegensammelstelle (Gesa) zu bringen. Selbst Leute, die schon mal ED-behandelt wurden und Personalien verweigern, können die Masse und damit den zeitlichen Aufwand vergrößern, es bleibt dann, wenn überhaupt, bei einer Ordnungswidrigkeit (OWi). 

In letzter Zeit gab es schon Versuche seitens der Cops, durch Bearbeitungsstraßen, Zugkontrollen etc. flexibler agieren zu können. Der Moment der Überforderung ist im städtischen Kontext schwieriger herzustellen. Der Transport der Aktivist*innen gestaltet sich einfacher, außerdem gibt es mehr Infrastruktur an Gesen und Polizeiwachen. Wenn die Bullen vorher bescheid wissen, können sie versuchen sich entsprechend vorzubereiten. 

Ab dem Punkt, ab dem ED-Behandlung, Gesa, Untersuchungshaft (U-Haft) ins Spiel kommen, haben wir Bedenken, ob es (immer) politisch sinnvoll ist, weiter die Identität zu verweigern.

ED-Behandlung und Datenspeicherung

Natürlich werden ED-Behandlungen auch vorgenommen, wenn Personalien mitgeführt oder angegeben werden. Doch wir empfinden die Konsequenzen einer Datenerhebung und -speicherung beim Vorwurf von geringen Straftatbeständen, bei denen ohne ID-Verweigerung meist keine ED-Behandlung durchgeführt würde, als schwerwiegend. 

Bei einer ED-Behandlung werden Finger- und Handflächenabdrücke, ein dreiteiliges Lichtbild, eine Ganzkörperaufnahme und eine Personenbeschreibung aufgenommen. Wenn Zeit und Interesse besteht, werden dafür auch Substanzen, die diese Maßnahmen ins Leere laufen lassen sollen, wie Kleber auf den Händen oder Schminke im Gesicht, entfernt. Zusätzlich können Detailaufnahmen von besonderen Körpermerkmalen (Narben, Tattoos..) dokumentiert und fotografisch festgehalten werden. Diese Daten werden in verschiedene Datenbanken der Bullen auf landes-, bundes- und europäischer Ebene hinterlegt und gespeichert, in dem bundesweiten Informationssystem der Polizei (INPOL) in den meisten Fällen für erstmal 10 Jahre. Gelöscht werden die Daten selten von den Bullen selbst. Eine Löschung ist oft schwierig durchzubekommen, selbst bei Freispruch oder Einstellung, außerdem verlängern sich die Fristen erneut mit jeder neuen Eintragung. 

Die Bullen können über einen langen Zeitraum auf eine Menge Daten zurückgreifen. Sollte eine ihre ID-verweigernde Person noch nicht im System sein und einmal unidentifiziert entkommen, besteht die Möglichkeit, dass sie auf der nächsten Aktion/Demo von Zivis entdeckt, nachträglich identifiziert und ihr die alte Sache zugeordnet werden kann. Insbesondere junge Menschen sind dann quasi ab Beginn ihres politischen Aktionismus im Bullensystem. Darüber hinaus durchforsten die Bullen natürlich das Netz nach Daten (Bilder und co), weshalb immer gut überlegt werden sollte, was so ins Netz gestellt wird und was vielleicht bereits schon zu finden ist. Zudem ist unklar, welche neuen technischen Mittel und Wege der Repression in den nächsten Jahren auf uns zu kommen, und wie diese Daten dadurch noch weiter Verwendung finden werden.

Gesa und U-Haft als Form der Repression

Neben der ED-Behandlung geht mit der ID-Verweigerung oft ein Aufenthalt in der Gesa und sogar U-Haft einher. Bereits die Zeit in der Gesa kann scheiße sein. Psychischer und physischer Druck, die Identität preizugeben, kann zusätzlich belasten. Spätestens mit Ablauf des Tages nach der Festnahme kommt es zur Vorführung vor der oder dem HaftricherIn, welcheR über Freilassung oder U-Haft entscheidet. In den meisten uns bekannten Fällen der ID-Verweigerung folgt selbst beim Vorwurf geringerer Straftaten U-Haft.  Wenn die Ansage ist: “Vor dem oder der HaftrichterIn kannst du immer noch deine Personalien angeben”, macht es die Entscheidung wieder zu einer ganz individuellen und kann zu Vereinzelung führen oder großen Druck ausüben. 

Auch im Normalfall bedeutet U-Haft wenig Besuch, wenig Kontakt zu den Mitgefangenen und die Kontrolle der gesamten Post. Bei der ID-Verweigerung verstärkt sich die soziale Isolation. Besuch von engen Freund*innen oder Familie, selbst Briefwechsel, ist unmöglich, da anhand der Kontakte Rückschlüsse auf die Identität gezogen werden könnten. Doch ist U-Haft nicht nur für die betroffene Person kräftezehrend. Für einen längeren Zeitraum werden Ressourcen und Strukturen des politischen Umfelds gebunden, der Kontakt zu Anwält*innen und Familie muss organisiert und Öffentlichkeitsarbeit gemacht werden.

Unidentifiziert in der Gesa oder U-Haft zu sitzen, stellt für uns daher nicht unbedingt einen Moment der Selbstermächtigung dar. Sie sind für uns zentrale Formen der Repression und trotz möglicherweise erfolgreicher ID-Verweigerung hat das Strafsystem dann trotzdem, in anderer Form, zugeschlagen.

Vorbereitung in der Bezugsgruppe

Wenn geplant ist, im Rahmen einer Aktion die Personalien zu verweigern, ist eine Vorbereitung im Voraus und die gemeinsame Beschäftigung in der Bezugsgruppe mit Gesa und Knast daher wichtig. Sowohl die interne Organisierung der Bezugsgruppe als auch die einer unterstützenden Struktur “draußen” ist dabei zentral. Geklärt werden sollte: Wo liegt ein Ausweisdokument, falls später doch die Personalien angegeben werden möchten? Welche Personen müssen im Falle der U-Haft kontaktiert werden? Muss sich um Kinder gekümmert werden? Welche Medikamente werden schnell benötigt? Müssen Katzen gefüttert, oder Ausbildung, Arbeit oder Amt über das Fehlen informiert werden? 

Zu bedenken dabei ist, dass der erste Kontakt nach draußen zunächst lediglich durch eine*n Anwält*in bestehen wird, welche*r zunächst Probleme haben kann, zu der eingefahrenen Person zu kommen, weshalb ihr*ihm schnell mitgeteilt werden muss, welches Pseudonym/ welche Zahl die Person drinnen für sich verwendet.

Eine gute Vorbereitung macht die mögliche U-Haft für alle Beteiligten ein bisschen weniger anstrengend. 

Was uns wichtig ist

Bei einem Aufruf zu ID-Verweigerung im Rahmen von größeren Aktionen ist eine Absprache mit den örtlichen EA-Strukturen im Vorhinein wichtig. Für uns ist zentral, dass es Menschen zu jeder Zeit  möglich sein muss, zu versuchen, die Zeit in Gesa oder U-Haft kurz zu halten oder auch zu vermeiden. Die Entscheidung, ab einem bestimmten Punkt die Identität preiszugeben, sollte nicht dazu führen, dass sich von Einzelnen distanziert oder entsolidarisiert wird.  Außerdem bleibt zu bedenken, dass im Vorfeld viel abgesprochen werden kann, es jedoch  immer Situationen geben kann, die nicht vorhersehbar waren, und dann sind gegebenenfalls Einzelne vorerst damit allein. Die Entscheidung welche Art der Repression  schwerer wiegt bleibt natürlich jede*r Aktivist*in und ihrem*seinem Umfeld selbst überlassen. Die möglichen Konsequenzen von ID- Verweigerung zeigen für uns jedoch, dass auch erfolgreich verweigerte Personalien nicht gleichbedeutend mit Repressionsfreiheit sind. In der Praxis gilt es daher, sorgfältig abzuwägen und transparent zu diskutieren.

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