Newsletter des Ermittlungsausschuss Berlin #1

Et Voila: Der Ermittlungsausschuss Berlin präsentiert euch seinen ersten Newsletter rund um die Themen Repression und der Widerstand dagegen. Wir werden uns bemühen in regelmäßigen Abständen von dem zu berichten, was an Informationen in unser Büro eintrudelt, welche (neueren) Entwicklungen es im Repressionsapparat gibt, welche Erfolge gefeiert werden können, und welche Tipps und Tricks wir uns ausgedacht haben und mit euch teilen können.

Für diesen Newsletter bedanken wir uns ganz herzlich bei der Roten Hilfe Dresden, solidarischen Unterstützer_innen der „Unzensiert Lesen“-Kampagne und einer Autonomen Antifa Berlin für die Bereitstellung ihrer Artikel und der Hilfe bei der Recherche!

Den Newsletter gibt es auch als PDF und als PDF zum Ausdrucken und Verteilen.

Viel Spaß beim Lesen…

1) 1. Mai 11 – mehr Politik, weniger Action, Repression so wie immer

Der 1. Mai diesen Jahres war nach allgemeiner Auffassung der politischste seit einiger Zeit. Große Demo durchs Myfest (mit gruseligem Zivikessel), große Demo durch Neukölln mit Fokus auf dem Mietenthema und Glücksstunde für Glasereien.
Bei der Walpurgisnacht war die Einschätzung, dass „alles ruhig“ gewesen sei, auch abends am 1. Mai am Kotti war weniger los als sonst.

Festnahmen

Trotzdem haben die Bullen natürlich einige Leute festgenommen, etwas weniger zwar als in den Jahren zuvor, aber trotzdem stattliche Zahlen:
In der Walpurgisnacht – bzw. danach – wurden uns 48 Festnahmen gemeldet. 12 davon haben einen Haftbefehl (HB) bekommen, 9 davon mit Haftverschonung (HV), 3 sind also wegen der Walpurgisnacht in U-Haft gekommen. (Die Bullen sprachen von 15 HB, davon 10 HV, also 5 drinnen gebliebenen)
Am 1. Mai selbst wurden uns 99 Namen gemeldet. 17 von diesen Menschen sollten einem_r Haftrichter_in vorgeführt werden. Sicher wissen wir von 12 Haftbefehlen, darunter acht Menschen die von der Haft verschont wurden. Vier Leute sind sicher drinnen geblieben. Von den anderen 5 Vorführungen haben wir keine Information, weil die Leute sich eine_n Anwält_in genommen haben, die/der nicht mit uns zusammenarbeitet.
Insgesamt bleiben oft die Leute in Haft, die keinen deutschen Pass oder keinen festen Wohnsitz haben. Dieses Mal war es sogar so, dass die Mehrheit der Menschen, die einen Haftbefehl ohne Verschonung kassiert haben, keinen deutschen Pass hatten (während die Zahl der Nichtdeutschen bei den Festgenommenen insgesamt bei ca. 5% liegt.) – rassistischer Normalzustand in Berlin.
Interessant ist, dass selbst die Bullen in ihren Pressemitteilungen schrieben, alles sei ruhig geblieben, die Zahl der Verhafteten sich aber trotzdem im Rahmen des „üblichen“ hielt. Es bestätigt sich also, dass die Zahlen der Festgenommenen viel eher an den Festnahmekapazitäten der Bullen liegen, als an der Zahl der Taten.
Ähnlich scheint es sich mit den richterlichen Vorführungen zu verhalten. Das sind einfach immer so viele, wie die beiden Richter_innen am Tempelhofer Damm schaffen, egal was auf den Straßen los war.
Das heißt zwar einerseits, dass es am 1. Mai immer gefährlich ist, einzufahren, andererseits aber vor allem, dass an einem guten 1. Mai, wo viel passiert, die Chancen viel geringer sind, einzufahren oder sogar vorgeführt zu werden…

Verurteilungen

Nach 4 Monaten sind von den Verfahren schon einige gelaufen, dabei gab es neben zwei uns gemeldeten Freisprüchen, auch mehrere Bewährungsstrafen. Verhängte Haftstrafen wurden uns nicht rückgemeldet.
Ein Mensch sitzt allerdings unseres Wissens nach noch in U-Haft. Dessen Verfahren sollte aber in der nächsten Zeit auch stattfinden. Mindestens ein Verfahren wurde hingegen sogar gegen Auflagen eingestellt.
Leider ist unsere Statistik, was die Urteile angeht, alles andere als vollständig, aber insgesamt scheint es relativ glimpflich ausgegangen zu sein. Auch natürlich wegen der tollen Arbeit der Verteidiger_innen, das muss man an dieser Stelle auch mal sagen.
Viele Verfahren stehen natürlich auch noch aus. In der Regel dauert es zwei Jahre bis so ein 1. Mai juristisch zu Ende aufgearbeitet ist.

2) EA-Auswertung zur Demonstration anlässlich des 10. Todestages von Carlo Giuliani und der Erinnerung an die Polizeigewalt in Genua

Die Demonstration, die am 16.07.2011 statt gefunden hat war unangemeldet- eine Besonderheit, die den EA veranlasst einen kleinen Überblick über die Maßnahmen der Repressionsorgane, und den Widerstand dagegen zu geben.

Es wurden uns ca. 35 Festnahmen gemeldet, was auch mit den Angaben der Bullen hinhaut. Wir finden es gut, dass die „Melde-Praxis“ so gut funktioniert hat. Vielleicht ist dies darauf zurück zu führen, dass Leute in Bezugsgruppen unterwegs waren und/oder gut aufeinander geachtet haben.

Zunächst ist es bemerkenswert, dass eine unangemeldet Demonstration so ein großes Mobilisierungspotenzial gezeigt hat. Die Demonstrationen, die der EA Berlin bisher währenddessen und im Nachhinein betreut hat sind größtenteils angemeldet. Daher fiel vielen von uns positiv auf, dass die Demo tatsächlich ein Stück durch Kreuzberg laufen konnte, ohne von der Polizei angegriffen zu werden.
Da in letzter Zeit vermehrt diskutiert wird, inwiefern von Anmeldungen bei der Polizei abzusehen ist, sollte dies unsrer Ansicht nach als Positivbeispiel unterstrichen werden.

Obwohl die Demonstration nicht angemeldet war, war sie aus Sicht des EA gut vorbereitet – insbesondere der Kontakt zum EA lief super. Es ist gut zu sehen, dass die Orga-Leute Verantwortung für die Demo-Teilnehmenden übernehmen, das heißt im Einzelnen auch einen guten Kontakt zu Antirepressionsstrukturen aufzubauen, damit Festgenommene versorgt werden. Der Telefondienst an diesem Abend wurde regelmäßig über den Stand der Dinge informiert, sodass wir uns ein gutes Bild von der Lage machen konnten.

Nicht zu vergessen ist der Prisoner Support, der sich spontan nach dem D.I.Y.-Prinzip zusammen fand. Die Bezugsgruppe, deren Freund festgenommen wurde setzte sich mit dem EA in Verbindung und informierte uns darüber, dass sie nun vor der Polizeistation am Tempelhofer Damm einen spontanen Prisoner Support einrichten werden. Das gab uns vom EA die Möglichkeit, alle anderen zu informieren, die uns festgenommene Freund_innen und Bekannte meldeten. So wuchs der Prisoner Support mehr und mehr, und es konnten sogar Schichten eingeteilt werden.

Im Übrigen fiel uns auf, dass die Polizei derart wahllos Leute fest nahm, dass sie viele wieder aus der Wanne heraus entlassen haben, ohne in Gewahrsam verbracht worden zu sein.

Leider hieß dies aber auch für viele, dass sie Verletzungen davon getragen haben. Wir wünschen den Verletzten eine gute Besserung und hoffe, dass ihr euch ärztliche Atteste für eventuelle Gerichtsverfahren besorgt habt.

Auch fiel uns eine wohl neue Repressionspraxis gegen Vermummung auf. Festgenommenen Personen wurde von den Beamt_innen gesagt, sie sollen sich vermummen, woraufhin sie fotografiert wurden. Grundsätzlich gilt: Ihr müsst nicht aktiv an solchen Maßnahmen mitwirken! Im Ergebnis werden die Bullen euch eventuell den vermeintlichen Vermummungsgegenstand selbst umlegen, aber hiergegen solltet ihr unbedingt Widerspruch einlegen, und diesen dokumentieren lassen! Auch wenn dies nach einer legalistischen Protestaktion klingt, haben wir die Erfahrung gemacht, dass Widersprüche nicht umsonst sind. Insbesondere wenn es von den Bullen heißt „Vermummen Sie sich so, wie Sie eben auf der Demo vermummt waren“ könnte dies gegen das Selbstbelastungsverbot verstoßen. Überlegt euch also, ob ihr an dieser Maßnahme wirklich freiwillig mitwirken wollt!
Solltet ihr mit einem Gerichtsverfahren konfrontiert sein, kommt in unsere Sprechstunde. Wir vermitteln Anwält_innen und können gemeinsam eine politische Gestaltung des Verfahrens besprechen.

3) Den antifaschistischen Selbstschutz organisieren!

Seit geraumer Zeit ist zu beobachten, dass Neonazis aus dem Umfeld der „Autonomen Nationalisten“ gezielt Prozesse gegen Linke als Zuschauer besuchen, um auf diesem Wege an Namen und Anschriften unserer MandantInnen bzw. von ZeugInnen aus unseren Kreisen zu gelangen. Nicht selten findet sich der eine oder die andere später in der Internetpräsenz des „nwbb (nationaler widerstand berlin-brandenburg)“ wieder.

Wie allgemein bekannt ist, läßt sich das Aushängen der Namen unserer MandantInnen im Terminsaushang nicht verhindern. Anders verhält es sich jedoch mit der Anschrift, die bei Feststellung der Personalien im Protokoll vermerkt wird. Bei Feststellung der Anwesenheit von Nazis im Zuschauerraum empfiehlt es sich daher, mit dem/der jeweiligen RichterIn zuvor Kontakt aufzunehmen und darauf zu drängen, dass die Anschrift auf anderem Wege ins Protokoll aufgenommen wird, z. B. durch „stille“ Vorlage des Personalausweises.

Die Zahl der bislang in Berlin bekannt gewordenen Nazi-Prozessbeobachter ist überschaubar. Es handelt sich hierbei um Roland Scholz, Philipp Bornemann, David Gudra, Sebastian Zehlecke und Björn Wild. Fotos sind unter antifa-berlin.info vorhanden.

Es ist daher kein größeres Problem, die Fotos dieser Personen bei entsprechenden Verhandlungen mit sich zu führen und zu Beginn mal einen Blick auf die anwesenden Zuschauer zu werfen, um dann entsprechend reagieren zu können. Bei Verfahren gegen Personen aus dem Antifa-Spektrum fällt dies noch leichter, da häufig GenossInnen anwesend sind, die sich in der Szene entsprechend auskennen.

Autonome Antifa Berlin

4) Verfahren gegen linke BuchhändlerInnen

Seit Herbst 2009 sind linke Buch- und Infoläden (Schwarze Risse, Oh21, M99, red stuff) in Berlin aber auch in München (Café Marat) und Osnabrück (Kulturzentrum SubstAnZ) einer ganzen Reihe von Durchsuchungen ausgesetzt gewesen.
Hintergrund waren laut Durchsuchungs- bzw. Beschlagnahmebeschlüssen u.a. Flugblätter (gegen die Bundeswehr), Aufrufe (zur Massenblockade des Naziaufmarsches in Dresden im Februar 2010) sowie Zeitschriften (radikal/interim/prisma). Durchsuchungsbeamte nahmen auch vor Ort aufgefundene Plakate der Kampagne „Castor schottern“ zum Anlass, ein weiteres Ermittlungsverfahren einzuleiten, was die Staatsanwaltschaft jedoch negativ beschied.

Begründet wurden die Durchsuchungen, bei denen verschiedene Schriften, aber auch Computer beschlagnahmt worden sind mit §130a StGB (Anleitung zu Straftaten) in Verbindung mit §40 WaffenG „(Verbotene Waffen inklusive des Verbots, solche herzustellen oder zur ihrer Herstellung aufzufordern)“. Anstatt wie bisher üblich Verfahren gegen unbekannt wegen Herstellung solcher Schriften/Plakate/Aufrufe etc. zu führen, ging die Staatsanwaltschaft nun zusätzlich direkt gegen die Geschäftsführer der betroffenen Läden vor. Mit diesen Verfahren gegen die BuchhändlerInnen selbst wurde versucht, die bisherige Rechtsprechung zu revidieren, nach der diese nicht verpflichtet sind, den Inhalt der von ihnen vertriebenen Bücher und Zeitschriften zu kontrollieren.
Im Februar 2011 fand der erste und einzige Gerichtsprozess unter verstärkten Sicherheitsvorkehrungen am Moabiter Amtsgericht gegen den Geschäftsführer des Buchladens oh21 statt. Das Verfahren wurde am zweiten Verhandlungstag auf Vorschlag des Richters nach §153 StPO (Strafprozeßordnung) eingestellt. Die Staatsanwaltschaft Berlin bot daraufhin die Einstellung aller weiterer Verfahren nach 153 StPO an. Ende Mai 2011 wurden auch die letzten Berliner Verfahren eingestellt. Kurz zuvor war am 11. Mai 2011 der Schanzenbuchladen in Hamburg wegen einer Ausgabe der Zeitschrift ZECK durchsucht worden.

Die Soli-Kampagne „unzensiert lesen“ schätzt das Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft als eine klar politisch motivierte Strafverfolgung ein: Die Repression hatte nicht nur die beschlagnahmten Veröffentlichungen zum Ziel, sondern auch die Kriminalisierung der Buchläden als Teil linker Infrastruktur und Gegenöffentlichkeit sowie die Diskreditierung politischer Inhalte und Aktivitäten. Aus der Stellungnahme der Kampagne: „/mit ihrem Versuch, Berührungsängste zu schüren und einzuschüchtern ist die Repression gescheitert. Als Initiative unzensiert-lesen geht es uns darum, dass wir uns nicht vorschreiben lassen, welche Inhalte und Themen wir diskutieren und verbreiten. Wir glauben, dass wir mit unserer Kampagne Bewußtsein für die Notwendigkeit und die Verteidigung eigener Räume schaffen konnten. Ebenso positiv sehen wir die vielfältigen Solidaritätsbekundungen und die breite Unterstützung. Beides, eigene Strukturen und praktische Solidarität, werden wir auch in Zukunft brauchen, denn der nächste Angriff kommt bestimmt.“

www.unzensiert-lesen.de

5) Neunzehn vierundachtzig – Orwell meets Dresden

Der folgende Artikel wurde in abgewandelter Form von der Roten Hilfe Dresden für das Gefangeneninfo vom August 2011 verfasst. Inzwischen haben sich jedoch einige Updates ergeben, die hier eingearbeitet wurden.

Wie über die Medien schon hinlänglich bekannt, wurden anlässlich der Anti-Nazi-Proteste am 19. Februar diesen Jahres in Dresden über eine Million Sätze mit Mobilfunkdaten durch die Polizei gesammelt. Ob Funkzellenauswertung, IMSI-Catcher, Kassenbelege oder Fragebögen – die Sammelwut der Behörden scheint keine Grenzen zu kennen. Bereits im unmittelbaren Vorfeld der Demonstrationen wurden die Anschlüsse mehrerer mutmasslicher Tatverdächtiger überwacht. Dabei wurden sowohl Aufenthaltsdaten ermittelt, als auch Gespräche protokolliert und inhaltlich ausgewertet.

Durch eine sogenannte Funkzellenauswertung (FZA) wurden am 19. Februar auf einen richterlichen Beschluss hin weiträumig 138.000 Verbindungsdatensätze von rund 65.000 verschiedenen Mobiltelefonen erfasst. Der Grund waren Ermittlungen wegen Angriffs auf Polizeibeamte und schwerem Landfriedensbruchs. Betroffen waren jedoch über einen Zeitraum von mindestens viereinhalb Stunden tausende DemonstrantInnen, darunter auch JournalistInnen, AnwältInnen, PolitikerInnen sowie sämtliche im Bereich der Südvorstadt wohnhaften AnwohnerInnen. Durch Positionserfassungen war es ebenfalls möglich, Bewegungsprofile zu erstellen.

Erstaunlicherweise wurde wegen der angeblich über 100 verletzten Polizisten noch kein einziges Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dagegen benutzte man die Daten in fast 50 Fällen, um wegen Behinderung einer angemeldeten Demonstration (§21 VersG) zu ermitteln. Wobei es sich eben nicht um „erhebliche Straftaten“ nach §100a StPO handelt, zu deren Aufklärungszwecken solche Daten überhaupt erst gesammelt und weitergegeben werden dürfen. Eine zweite FZA wegen Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung (§129 StGB) umfasste noch einmal knapp 900.000 Verbindungsdaten vom 18. und 19. Februar. Insgesamt sind so rund 300.000 HandybesitzerInnen betroffen, von denen in mehr als 40.000 Fällen auch die zugehörigen Bestandsdaten ermittelt wurden.

Wie sich später herausstellte, kamen bei der Überwachung auch sogenannte IMSI-Catcher zum Einsatz. Diese Geräte simulieren eine Funkzelle, und ermöglichen neben einer noch genaueren Positionsbestimmung auch das Mithören von Gesprächen in Echtzeit. Über die IMSI-Kennung auf der SIM-Karte können Telefonnummer und Anschluss-InhaberInnen per Nachfrage beim Mobilfunkanbieter ermittelt werden. Der Rahmen für den Einsatz solcher Geräte wurde nach dem 11. September 2001 im Zuge der Antiterrorgesetze geschaffen. Allerdings sind Echtzeitüberwachungen genehmigungspflichtig, und im konkreten Fall vermutlich rechtswidrig gewesen.

Wie jetzt ebenfalls bekannt wurde, hat die SOKO 19/2 darüber hinaus Busunternehmen im gesamten Bundesgebiet angeschrieben und aufgefordert, Auskunft über Reisende und deren Fahrstrecken zu geben. So wurde in Fragebögen u.a. nach Mietverträgen und Kopien von Ausweisen, Abfahrtsorten, Streckenführung und Pausen gefragt. Ebenso interessierte die Beamten, wann die Leute in den Bus gestiegen waren und wo sie ihn verliessen, welche Stangen, Fahnen und Transparente sie mitführten und selbst worüber sie sprachen. Viele Busunternehmen hielten das verständlicherweise für rechtlich mehr als bedenklich, es gab aber auch andere Fälle: Rheinland Touristik aus Köln beispielsweise übermittelte in vorauseilendem Gehorsam die komplette GPS-Auswertung des Reiseverlaufs.

Nach dem Bekanntwerden der Datensammlungen schieben sich nun Justizminister Martens (FDP) und Innenminister Ulbig (CDU) gegenseitig die Schuld in die Schuhe. Der Dresdner Polizeipräsident Dieter Hanitsch wurde als Bauernopfer wegen „interner Informationsdefizite“ versetzt. Er soll die Landespolizeidirektion Zentrale Dienste leiten, welche u.a. die technischen Voraussetzungen für eben solche Überwachungen liefert. Martens versucht die Verfehlungen damit zu kaschieren, dass er jetzt eine Bundesratsinitiative initiieren will, damit künftig „insbesondere die Rechte Unbeteiligter besser geschützt werden“. Schaut man genauer hin, dürfte es vor allem darum gehen, künftige FZA rechtssicher zu machen, indem der Strafkatalog für den Einsatz dieser genauer definiert wird.

Mit dem Bekanntwerden der FZA stellte sich heraus, dass bereits im Zuge der Ermittlungen wegen des Brandanschlages auf einen Bundeswehrfuhrpark am 12. April 2009 in Dresden mehr als eine Million Verkehrsdaten erfasst wurden. Dabei wurden vom Mobilfunkanbieter unaufgefordert zusätzlich personenbezogene Daten von mehr als 80.000 AnschlussinhaberInnen an die Polizei übersandt, welche wiederum die Bestandsdaten von weiteren 250 Personen ermittelte. Im Rahmen dieser Ermittlungen wurden auch insgesamt 162.000 Einkaufsjournale der Baumarktkette OBI im Datenabgleichsystem EFAS erfasst. Die Rechnungsbelege waren interessant, weil sich ein nicht gezündeter Brandsatz in einer „Ordnungskiste“ befand, die es nur bei OBI gibt. Allerdings ergab sich bisher weder einen Ermittlungserfolg, noch wurden die Daten gelöscht.

Da sich ja solche Überwachungen offensichtlich in Dresden mittlerweile zum ermittlungstechnischen Standard entwickelt haben, verwundert es nicht, dass in der letzten Zeit noch mehrere solcher Fälle aus den letzten Jahren bekannt geworden sind. Ein weiteres Highlight stellt eine FZA anlässlich der Proteste gegen den Naziaufmarsch zum Jahrestag des ArbeiterInnenaufstandes in der DDR am 17. Juni 2010 dar. Am Rande der Gegendemo versuchte man, den mutmasslichen Verdächtigen einen Übergriff auf den Thor Steinar-Laden „Larvik“ nachzuweisen. Dabei wurden mit Hilfe der „Verkehrsdatenauswertung Josephinenstraße/Demo“ gleich mehrere Funkzellen erfasst und ausgewertet. Genauer Umfang, Dauer und Reichweite sind bisher unbekannt.

Man darf gespannt sein, was in den nächsten Wochen und Monaten noch so ans Tageslicht kommen wird. Obwohl man sich über die Bereitschaft der Behörden zum Einsatz dieser Mittel auch in der Vergangenheit nichts vorzumachen brauchte, hätte im konkreten Fall vermutlich niemand erwartet, dass die Datensammelwut der Ermittler diese Dimensionen annehmen würde.

Freiheit stirbt mit Sicherheit!

Rote Hilfe Dresden
für die
Kampagne „Hundertneunundzwanzig eV“
www.129-ev.tk
Spendenkonto:
Rote Hilfe Dresden, Konto: 609760434,
BLZ 36010043, Postbank Essen,
Stichwort „129 Verfahren“ / „129 Soliarbeit“

6) Neue Broschüre zum Thema OBSERVATION

“Maßnahmen gegen Observation” – die im Juni 2011 neu erschienene Broschüre, die sich ausführlich mit Observationen, deren Erkennung und möglichen Gegenmaßnahmen beschäftigt, gibt es jetzt auch als PDF zum herunterladen.
Als Druckwerk ist die Broschüre im speziell sortierten Buchhandel zu bekommen.