taz | Ermittlungen gegen die Polizei

Auch die Taz hat anlässlich unseres Jubiläums einen Artikel geschrieben und unsere Arbeiit vorgestellt. Aber als Anmerkung wollen wir ergänzen, dass wir kein Verein sind, sondern ein loser Zusammenschluss an Leuten, die sich unter anderem mit Antirepressionsarbeit beschäftigen.

Der linke Ermittlungsausschuss wird 30
Ermittlungen gegen die Polizei

Seit 30 Jahren wählen Linksradikale, die verhaftet werden, die Telefonnummer des Ermittlungsausschusses. Ganz so viel wie früher haben die Anwälte nicht mehr zu tun.

VON HELMUT HÖGE

Im Prinzip ist es seit 30 Jahren das Gleiche: Bei jeder linken Demo ist der Ermittlungsausschuss (EA) telefonisch erreichbar, hilft festgenommenen Demonstranten, sucht Zeugen und kümmert sich gegebenenfalls um einen Anwalt für sie. Im Laufe der Jahre hat der Verein bei tausenden Verfahren geholfen. Außerdem erteilt er Rechtshilfe, mitunter auf Veranstaltungen, wo Vertreter des EA dann den Ratgeber „Was tun, wenns brennt?“ verteilen, wie die BZ kurz vor dem 1. Mai 2010 empört berichtete – und von „Treffen potenzieller Gewaltdemonstranten“ sprach.

Gegründet wurde der Verein 1980 nach der brutalen Räumung des besetzten Hauses am „Fraenkelufer 48“. Vor allem, weil die Einsatzbeamte seinerzeit nicht vor Falschaussagen zurückschreckten, wenn es galt, einen Festgenommenen etwa als „Steinewerfer“ zu identifizieren. Schon gar nicht sagten sie gegen Kollegen aus, wenn diese gewalttätig geworden waren. Der EA ist also eine linke Erfindung zur juristischen Aufklärung in Form der Selbstverteidigung. Hervorgegangen ist er aus der „Gefangenenhilfe“. Dabei ging es darum, für Angeklagte, die kein Geld hatten, und für Leute im Knast Geld zu sammeln. Sie also nicht alleinzulassen, nachdem sie sich stellvertretend für alle Linken engagiert hatten.

Auch der EA ist für seine juristisch-aufklärerische Arbeit auf Spenden angewiesen. „Wenn auf der Straße viel los war, wurde viel gespendet“, sagt Thomas Herzog, Mitbegründer des EA. „Anfangs waren ein Drittel von uns Anwälte, zwei Drittel Nichtanwälte. Diese haben die Mandanten verteilt. Zu den Hochzeiten standen uns 60 bis 70 Anwälte zur Verfügung, die bei angekündigten Demos dem EA mitteilten, ,ich bin erreichbar‘. In den letzten Jahren wurde es aber immer ruhiger.“

Zumindest in Berlin ist die radikale Linke aus der Hausbesetzerbewegung seit der Räumung der Mainzer Straße 1990 von Zerstreuung gekennzeichnet. Selbst die aufs Wort reduzierten linken Buchläden stehen als letzte Zentren inzwischen nicht mehr nur im Visier der Neonazis, sondern auch der Staatsanwaltschaft (taz berichtete). Der EA war zuletzt am 12. Juni bei der sogenannten Böller-Demo gefragt, die unter der Parole „Die Krise heißt Kapitalismus“ stattfand, sowie bei der „Flughafenbesetzung“ in Tempelhof. Und natürlich wie immer rund um die Uhr am 1. Mai. „In diesem Jahr hat die Polizei dort über 200 Leute festgenommen, gegen 10 wurde Haftbefehl erlassen“, erinnert sich Herzog. Der Rechtsanwalt arbeitet heute nicht mehr im EA, dort engagieren sich Jüngere. Herzog wird aber noch als Anwalt von ihnen beauftragt.

Eines der ersten Großereignisse, mit denen sich der EA auseinandersetzte, war der Tod des Hausbesetzers Klaus-Jürgen Rattay 1981 anlässlich einer Demonstration gegen die Räumung von acht besetzten Häusern. Er wurde von einem Bus überfahren. In der Hausbesetzerszene vermutete man, dass Rattay von der Polizei auf die Fahrbahn gedrängt worden war. Der Staatsschutz trug umgekehrt Beweise dafür zusammen, dass Rattay mit einem fotografierten Demonstranten identisch war, der unmittelbar vor der Räumung der Häuser in der Schöneberger Winterfeldtstraße Barrikaden mit Benzin angezündet hatte. Der EA veröffentlichte seine Ermittlungen später als Broschüre.

Mitte der Achtzigerjahre beschäftigte die damaligen Mitarbeiter ein internes Problem, das mit einem Beschluss endete: nicht mehr mit Anwälten zusammenzuarbeiten, die Vergewaltiger und Polizisten vertreten. Das Anwaltsbüro, in dem Thomas Herzog arbeitet, vertritt sie bis heute nicht, auch keine Arbeitgeber und Vermieter.

Heute, sagt Herzog, sei die Arbeit des EA zwar weniger geworden, dafür jedoch effektiver – seitdem nicht mehr nur Polizei und Staatsschutz fotografieren und filmen, sondern auch immer mehr Demonstranten: „Es geht dabei ja oft um die Art und Weise der Festnahme von jemandem. Also wenn die Polizei behauptet: Er oder sie leistete Widerstand und wir das aber durch Zeugen widerlegen können. Solche mit Handys gefilmte ,Zeugenaussagen‘ hat der EA auch schon mal ins Netz gestellt.“

Mittlerweile gibt es übrigens EAs in Gorleben, Hamburg, München, Köln, Dresden und Freiburg. Und es gab vorübergehend auch mal eine in Wackersdorf. Dort waren 1986 im Widerstand gegen eine geplante Wideraufbereitungsanlage zwei Demonstranten zu Tode gekommen.